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Experten-Tipp (Teil IV)
Das Spiel vor dem inneren Auge

„Ich versuche das Match in meinen Gedanken zu spielen, bevor ich auf den Platz ge- Bei der Steuerbarkeit handelt es sich um die Fä-
he. Ich versuche mich immer als Gewinner vorzustellen“. Dies sind die Worte von higkeit, sich genau das vorzustellen, was man
niemand anderem als Novak Djokovic, nachdem er 2019 Roger Federer im Finale beabsichtigt und diese Imagination auch un-
ter Kontrolle zu haben. Athleten lernen also mit
von Wimbledon besiegte. Im längsten Finale in der Geschichte des Turniers, in dem der Zeit dieses Bild zu ihren Gunsten zu mani-
erstmals der neue Match-Tie-Break im fünften Satz beim Stand von 12:12 das Spiel pulieren, um ihre eigene Leistung zu optimie-
entschied, haben sich Djokovic und Federer ein Spektakel geliefert, das in den Köp- ren. Im Gegensatz zum Tragträumen, wird dem
fen vieler Tennisfans verewigt ist. Doch zum Schluss war es der fünf Jahre jüngere Visualisierungsverfahren bewusst Aufmerk-
Djokovic, der mit seiner überlegenen Fitness und dank seiner psychischen Stärke samkeit zugewandt und es werden gezielt be-
stimmte Aspekte überarbeitet. In Anlehnung
(auf dem Weg zum Erfolg wehrte er auch zwei Matchbälle ab) die Oberhand behielt. daran kommt nun die Lebhaftigkeit ins Spiel.
Diese betrifft die Fähigkeit, die Vorstellung
In diesem erschöpfenden Finale waren es letzt- für einen Wettkampf helfen können. Doch ei- deutlich zu erleben und mit Details auszuge-
endlich nicht nur die spielerischen Fähigkei- ne sticht heraus, wenn es um die mentale Vor- stalten. Details, die man dementsprechend ein-
ten, die das Spiel entschieden. Über fast fünf bereitung von Djokovic geht. Die Methode der bringen kann, sind die Farben der Situation, die
Stunden mussten sich beide Spieler in menta- Visualisierung, oder vereinfacht dargestellt das Anzahl unserer Sinne (Hör-, Seh-, Tastsinn etc.)
ler Spitzenform befinden, um es über die Zielli- Erleben des Matches und der verschiedenen oder die Emotionen, die wir verspüren. Zusam-
nie zu schaffen. Doch kann man sich auf so ein Szenarien, die auftreten können, vor dem ge- men bilden alle Faktoren ein Bild, das der Re-
Spiel psychologisch überhaupt vorbereiten? danklichen Auge, ist für ihn unerlässlich. Schon alität sehr nahekommt und die Leistung un-
Die Antwort ist ein definitives „Ja“. Die Sport- mit jungen Jahren hat ihn sein Coach dazu ver- terstützt, indem die potentiell auftretende
psychologie bietet in diesem Bereich viele ver- leitet, bevorstehende Schläge oder Matches Situation nun nicht mehr neuartig ist, sondern
schiedene Methoden und Ansätze an, die bei erstmal gedanklich durchzugehen, um für He- schon gedanklich erfahren wurde.
der Vorbereitung rausforderungen besser gewappnet zu sein.
Und diesen Prozess durchlief er auch vor dem Verfahren ständig trainieren
epischen Finale, was ihn in seinem Streben Dennoch sollte das Visualisierungsverfahren,
nach Erfolg unterstützt hat. wie vorhin erwähnt, fortlaufend trainiert und
ein klares Ziel dabei verfolgt werden. In Verbin-
Die Situation durchleben dung mit der Steuerbarkeit und Lebhaftigkeit,
Diese Methode ist aber verfolgt das Visualisierungstraining dahinge-
nicht nur für Spitzensport- hend zwei Ziele. Zum einen dient es der Fä-
ler geeignet. Auch jun- higkeits- und Fertigkeitsoptimierung und zum
ge Tennisspieler kön- anderen der Aufmerksamkeits- und Emotions-
nen sich diese zu regulation. Ersteres verhilft Athleten dabei, ihre
Nutze machen. Den- Technik zu verfeinern und Schwachstellen an-
noch gibt es bei der zugehen, indem sie die technisch korrekte Aus-
Umsetzung eini- führung mental durchgehen. Hierbei können
ges zu beachten. Trainer mit zielgerichtetem Feedback beson-
Anfangs sollte es ders aushelfen, da deren Anweisungen direkt in
den Athleten be- die Visualisierung aufgenommen werden kön-
wusst sein, dass es nen. Das zweite Ziel unterstützt Athleten in ih-
sich hierbei auch rer Vorbereitung auf einen Wettkampf oder ge-
um eine Form des nerell in herausfordernden Momenten, indem
Trainings handelt. man sich in die Situation mental hinein begibt
Man sollte sich al- und sie im Kopf im Voraus schon durchlebt (wie
so strukturiert und es z. B. Djokovic tut).
fortlaufend damit Dabei sollte man sich zwei Fragen stellen:
auseinandersetzen, . Wie könnte die Situation aussehen?
um die Qualität der Vi- . Wie will ich darauf reagieren?
sualisierung stetig zu Die Antworten auf diese elementaren Fragen
verbessern. Dahingehend helfen den Athleten im Nachgang sich nicht
achtet man auf zwei we- nur Szenarien vorzustellen, die auftreten könn-
sentliche Aspekte. Der Steu- ten, sondern auch ihre Reaktion darauf, auf-
erbarkeit und der Lebhaftigkeit merksamkeits- und gefühlstechnisch, vorzube-
der mentalen Vorstellung. reiten und zu trainieren.

42 matchball | Mai 2021 Tennis-Verband Berlin-Brandenburg e.V.