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Editorial Ç
In eigener Sache
Dr. Klaus-Peter Walter
Liebe Tennisfreunde in Berlin und Brandenburg,
unser Tennissport gibt immer wieder tiefe Einblicke in mo- etlichen weiteren Ballwechseln mit Break- und Match-
ralisch vorbildliches Verhalten, wie zuletzt bei den Deut- bällen sicherte sich Frau Wagner das Spiel und zog ins Fi-
schen Meisterschaften in Biberach an der Riß zu erleben nale ein.
war. Spiel, Satz, Sieg Frau Wagner, 2:6, 6:3, 6:3 rief mit kla- Die von Frau Wagner gezeigte Fairness zeichnet hin-
rer Stimme der Schiedsrichter, womit sie sich damit Einzug gegen die Idee unseres Tennissports aus. Man möch-
ins Finale der Deutschen Meisterschaft 2023 sicherte. Ste- te sich keinen unverdienten Vorteil verschaffen und ver-
phanie Wagner, seit Beginn des Jahres von Amberg nach zichtet lieber auf das Finale, als sich hinterher vorhalten
Berlin zum TC SCC gewechselt, geht unschlüssig ein paar zu lassen, dass der Sieg nur einer falschen Schiedsrichter-
Meter von der Grundlinie in Richtung Netz, um die Gra- entscheidung wegen zustande kam. Am Folgetag unter-
tulation ihrer Gegnerin Carolina Kuhl aus Nürnberg ent- lag sie Nastasja Schunk aus Mannheim mit 6:3 6:2, konnte
gegenzunehmen. Diese als Deutsche Vizemeisterin aber zufrieden mit ihrem Er-
verweilte ungläubig an scheinen bei der DHM 2023 sein.
ihrer Grundlinie, war Vormals hätte die Geste vermutlich als ritterlich ge-
sie selbst sicher, dass golten. Unverdiente Vorteile wurden als unhöflich und
ihr Vorhandschuss im unehrenhaft zurückgewiesen. Der eigene ehrenhafte An-
Feld ihrer Gegnerin ge- spruch dominierte einst, nur die selbsterbrachte Leistung
landet sein musste, zu akzeptieren und nicht über glückliche Umstände erfolg-
mindestens die Linie reich zu sein. Übrigens dürfte auch hierin die Geste Be-
berührt hätte. Sehen stand haben, sich bei einem Netzroller, einen offensicht-
kann sie es aus dieser lich versprungenen Ball zu entschuldigen. Und deshalb
Entfernung nicht, denn wird bei einem Aufschlag, der als Netzroller das Netz be-
von dort ahnt man nur rührt, gerufen: „Let“, den bitte nicht schlagen, ich wieder-
unter der Netzkante
diese Linie. Nach der
ersten unschlüssigen
oben: Großartige Fairness Reaktion folgte eine konsequente, fordernde Ansprache
von Stephanie Wagner (TC von ihr an den Schiedsrichter, im Sinne: Was, der war aus?
SCC) im Halbfinale gegen Stephanie Wagner wurde unsicher, hatte der Ball eventuell
Carolina Kuhl aus Nürnberg
doch die Linie berührt? Sehen konnte sie das nicht, denn
rechts: Dr. Klaus-Peter sie versuchte hinter der Grundlinie per Halbflugball den
Walter und die Deutsche Vorhandschuss zu parieren, wobei ihr Schläger den Ball-
Vizemeisterin Stephanie abdruck verdeckte.
Wagner bei der Ehrung der Dann folgte die sensationelle Wendung der Situation:
Siegerinnen Stephanie Wagner ging zurück zur Grundlinie, um even-
tuell einen Abdruck zu entdecken, was auf Hartplätzen
kaum gelingt. Unsicher wo der Abdruck sein könnte, ak- hole den Aufschlag zu einem fairen Start der Punktrallye.
zeptierte sie spontan die Reklamation ihrer Gegnerin und Das unverdiente Glück ginge gegen die eigene Ehre, das
schenkte ihr den Punkt vom Matchball zum Einstand. Zu hat man nicht nötig. So auch hielten beispielsweise die
diesem Zeitpunkt war ich fast der einzige Zuschauer, so Spieler der Deutschen Meisterschaft beim Tausch der Bälle
dass diese großartige Fairness, diese großmütige Geste einen neuen Ball dem Gegner sichtbar zur Kenntnis, damit
von der Turnierleitung unbemerkt blieb. Enttäuschend zu- er sich auf geänderte Flugkurven einstellen kann.
dem, dass Frau Kuhl es wohl für selbstverständlich hielt, Dieses höfliche Miteinander, wie bei den Deutschen
den Punkt geschenkt zu bekommen. Denn, zufällig konnte Meisterschaften gelebt, bleibt hoffentlich dem Tennissport
erhalten. Auch wenn sich der Punktgewinn im Match nach
ich mit unverstelltem Blick die Linie sehen und konnte die
Fotos: Claudio Gärtner-tennisphoto.de Möglicherweise hätte eine Hawk-Eye-Videoaufnahme einem Urschrei ertragen lässt, zeigt das disziplinierte, faire
einem gelungenen Ballwechsel offenbar nur noch mit
Entscheidung des Schiedsrichters absolut nachvollziehen.
Verhalten, dass im Tennissport die ehrenhafte Attitüde ge-
herausgefunden, dass der Ball einen Millimeter die Linie
pflegt wird. Starten Sie respektvoll mit voller Zuversicht in
berührt hätte. Einen Grund von Frau Kuhl zu reklamieren,
die neue Saison, ehrenhaft und höflich lebt es sich besser.
gab es nicht, lediglich der Versuch, den eigenen Fehler und
die Enttäuschung in eine Fehlentscheidung eines Schieds-
richters umzudeuten und sich selbst zu entlasten. Nach
Ihr Klaus-Peter Walter
Präsident des TVBB
matchball | 01-2024 1