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Editorial Ç
Olympia Paris – Berlin
Dr. Klaus-Peter Walter
Liebe Tennisfreunde in Berlin und Brandenburg,
Olympia in Paris, mein erster Eindruck war ernüchternd. Das ganze Stadion schunkelte, kannte offenbar den
Straßensperrungen überall, selbst auf Umgehungsstraßen. Text und jubelte, als Rafael Nadal wieder erschien und sein
Auf den Stadtautobahnen wurden Fahrspuren für Funktio- Match fortsetzte und sogar gewann.
näre und Sportler reserviert, während sich die anderen im
eindrucksvollen Verkehrschaos stauten. Sollte das die Be-
geisterung der Bevölkerung für Olympia steigern?
Auch zur Eröffnung der Tennisolympiade am Samstag
beförderte die Olympiaorganisation meine Ernüchterung.
Zum Eintritt auf die Roland-Garros-Anlage mussten alle
in ein großes Zelt zur Leibesvisitation, wie geübt an den
Sicherheitskontrollen am Flughafen. Als ich an der Reihe
war, wurde mir befohlen, meinen Regenschirm in eine
Tonne zu befördern, draußen regnete es in Strömen.
Durchnässt auf dem Weg zum Eröffnungsmatch von Iga
Swiatek verpasste mir das Sicherheitskonzept in Paris
einen erneuten Dämpfer meiner Vorfreude.
Ist das der Sicherheitsstandard, der für die an-
gekündigte Olympiabewerbung Deutschlands rücksichts-
los eingehalten werden muss? Kann ich mir in Berlin vor- Dieser plötzliche Frohsinn der Zuschauer, dieses
stellen, dass der Berufsverkehr lahmgelegt wird, damit Schwelgen in Begeisterung macht wohl das Fest Olym-
Sportfunktionäre und Athleten auf der dritten Spur der pia aus. Heutige Kinder werden sich in 20 Jahren als Er-
Stadtautobahn freie Fahrt haben? wachsene an ähnliche Szenen erinnern und feststellen,
Doch dann änderte sich meine reservierte Stim- bei einem großartigen Ereignis Teil gewesen zu sein. Nach-
mung schlagartig. Am zweiten Tag meines Besuches bei haltigkeit ist sicher ein wichtiges Anliegen, auch eine funk-
den Olympischen Spielen schien die Sonne. Rafael Nadal tionierende Infrastruktur der Sportanlagen ist vorteilhaft
mühte sich nach gewonnenem ersten Satz vergeblich und wünschenswert. Doch diese materielle Sichtweise
gegen den Ungarn Marton Fucsovics und nahm eine me- kann eines nicht ersetzen: Lebensfreude, mit dabei ge-
dizinische Pause zu Beginn des dritten Satzes. Kaum war wesen zu sein, das Fest erlebt zu haben.
er in die Katakomben enteilt, wurde dezent Musik ein- Ja, auch der Stadtcharakter von Paris mit dem Eiffel-
gespielt. Und wie eingeübt, wie verabredet, sang das Pu- turm trägt zum Gelingen der Stimmung bei. Doch wie das
blikum in der ausverkauften Goldschüssel aus 14.000 Keh- Tennisfest Laver Cup in Berlin mit 60.000 enthusiastischen
len gekonnt im Chor: „Aux Champs-Elysée“. Zuschauern gezeigt hat, können wir Berliner bei Großver-
anstaltungen mithalten. Wenn es gelingt, die skeptische
Grundhaltung der Bevölkerung hin zu Begeisterung zu be-
wegen, wenn das Fest als Fest gelebt wird, wird eine Olym-
Fotos: Claudio Gärtner - tennisphoto.de, Mathias Schulz - tennisphoto.de, Dr. Klaus-Peter Walter
piade in Berlin ein unvergleichliches Erlebnis werden, an-
ders als in Paris und London, aber unvergesslich.
Ob das Mitsingen eines typischen Berliner Musikstücks
hierbei helfen kann? Ob „Berlin, Berlin“ oder „Heimweh
nach dem Kurfürstendamm“ in der nächsten Generation
noch bekannt sein wird, bleibt offen. Bei den Berlin Ladies
Open haben wir jährlich die Gelegenheit, den inzwischen
traditionell eingespielten Song der Berliner Band Seeed,
„Dickes B, oben an der Spree“ mitzuswingen. Wir haben
also noch 16 oder 20 Jahre Zeit, den Text einzustudieren,
um mindestens die Tennisgemeinde fit für das Fest Olym-
pia vorzubereiten.
Ihr Klaus-Peter Walter
Präsident des TVBB
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